Weltereignis für den Mut: Zum 50. Todestag von Hannah Arendt
Der Tod von Hannah Arendt war ein Weltereignis. Höchst ungewöhnlich war das vor 50 Jahren, 1975. Allenfalls Präsidenten oder Diktatoren waren zuvor weltweit betrauert worden. Aus tiefstem Herzen, wie John F. Kennedy – oder aus kalter Staatsräson – wie Josef Stalin.
Eine Denkerin – Gegenstand globaler Anteilnahme? Das war ein Zeichen dafür, wie sehr Philosophie und politische Theorie inzwischen zum Massenthema geworden waren. Bis heute ist Hannah Arendt eine Ikone des politischen Aktivismus.
Nicht von ungefähr wollte sie selbst gar nicht als Philosophin bezeichnet werden. Stets hatte sie dabei Martin Heidegger vor Augen, ihren Lehrer und Geliebten, während ihrer Studienjahre in Marburg und Heidelberg seit 1924.
Zwar hat sie ihn wohl auch später noch geliebt, trotz seiner Verlogenheit und seiner Selbstbezogenheit. Und doch war es die Enttäuschung ihres Lebens, dieser Mann, der sich einbildete, alles aus dem Denken begründen zu können – und sich in seiner Verstiegenheit den Nazis als Vordenker andiente.
So konnte nur denken, wer die Folgen seines Denkens gar nicht begriff. „Sie gingen ihren eigenen Einfällen in die Falle.“ So hat Hannah Arendt solche Irrtümer später umschrieben. Ihrem Biografen Thomas Meyer ist es zu verdanken, dass wir heute die Schlüsse kennen, die Hannah Arendt radikal aus diesem Versagen gezogen hat.
Knapp 20 Jahre hat sie seit 1933 größtenteils für jüdische Organisationen gearbeitet und einzig auf diese Weise am Ende ins Denken zurückgefunden. Praxis und Denken müssen sich durchdringen. So ist ihr Epochenbuch über die „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ entstanden.
Ihre Erkenntnis: Unbeschränkte Macht ebnet den Weg zu unbeschränkter Gewalt. Die Welt des eigenen Denkens und Handelns lässt sich brutal zerstören. Zu deren Erhalt ist daher politisches Engagement unverzichtbar.
Von hier führt der Weg auch zur Kontroverse um Arendts bekanntestes Werk, „Eichmann in Jerusalem“. Denn der NS-Kriegsverbrecher, 1961 vor Gericht, schien alles zu verkörpern, was Arendt für den Ursprung des Totalitarismus hielt: Ein Mensch, der alles aus der Hand gibt, sich gleichschalten, zum kleinen Rädchen im Getriebe machen lassen lässt.
Das Problem: Die Beobachtungen von Hannah Arendt schienen nicht nur an den Verbrecher Eichmann gerichtet, sondern auch an die, die den Holocaust erlebt und überlebt hatten. Auch sie hätten sich gleichschalten lassen. Die Wut und die Empörung darüber waren Ausdruck tiefer Verletzung, mit den Shitstorms der Gegenwart nicht vergleichbar.
Als Medien-Intellektuelle hatte Hannah Arendt, ohne es zu ahnen, auch eine neue Kommunikationsform etabliert: die massenmedial befeuerte Kontroverse. Die Folgen hat sie nicht vorhergesehen. Und doch war ihr Votum für eine selbstbewusste Politisierung des eigenen Lebens entscheidend für die Gegenwart.
Bis heute ist Hannah Arendt ein Vorbild, gerade in ihrer Beharrlichkeit. Müdigkeit, Resignation oder gar Kulturpessimismus hat sie zeitlebens abgelehnt. Bei der Trauerfeier am 8. Dezember 1975 sagt Arendts New Yorker Verleger William Jovanovich unter Tränen: „Durch Hannah schäme ich mich weniger, ein Mensch zu sein. Das war ihr Geschenk.“
Ausführlich habe ich über den 50. Todestag von Hannah Arendt bei tagesschau.de geschrieben.