„Pique Dame“ und das Rätsel der Liebe
Schon immer hatte ich eine Schwäche für Puschkins Erzählung „Pique Dame“. Zum einen ist da der tödlich verführerische Gedanke des Spiels: Das ganze eigene Leben auf drei Karten zu setzen. Und dann: Eins – Zwei – Drei! Und entweder ist man ruiniert und erschießt sich. Oder ein Leben in Saus und Braus beginnt – am besten mit der großen Hochzeit, die auf einmal möglich wird.
Sein eigenes Leben an den seidenen Faden zu hängen: Das bedeutet, der eigenen Vernunft abzusagen. Schließlich könnte ich versuchen, mir die Dinge, von denen ich träume, selbst zu erarbeiten. Was für ein Gedanke, sein ganzes Schicksal stattdessen von drei Spielkarten abhängig zu machen.
Ich sehe in „Pique Dame“ auch eine Erzählung über die russische Tragik. Wie das ist, wenn man den Willen zur Vernunft fast einzig in der Form staatlicher Bevormundung und drakonischer Gewalt erlebt. Da wird der selten mögliche Akt subjektiver Freiheit schnell zum Griff nach den (unerreichbaren) Sternen.
Weit großartiger jedoch ist das Rätsel der Liebe, das „Pique Dame“ entfaltet. Allerdings nicht so sehr in Puschkins berühmter Erzählung. Da ist Hermann, die Hauptfigur, ein manipulativer Bösewicht. Lisa, seine Geliebte, trachtet er nur zu erobern, weil sie ihm Zutritt zu einer geheimnisvollen Gräfin verschaffen kann. Und die kennt (angeblich) das Geheimnis der drei Karten, mit denen man jedes Spiel gewinnt.
Nein, die eigentliche Dramatik dieses Stoffs findet sich in Tschaikowskis Opern-Vertonung. Hier begegnen wir einem anderen Hermann, einem gefährlich undurchsichtigen Helden. Er liebt Lisa, ohne jeden Zweifel. Noch als er sich am Ende erschießt, flüstert er sterbend ihren Namen.
Das eigentliche Rätsel ist: Worin gründet seine Liebe? Will er das Geheimnis der drei Karten ergründen, um Lisa für sich zu gewinnen? Um sie heiraten zu können? Oder liebt er sie, weil sie ihm Zugang zum Geheimnis der drei Karten erschließen kann? Mit anderen Worten: Liebt er sie um ihretwillen – oder um seinetwillen?
Als anstelle des rettenden As die „Pique Dame“ fällt, ist es zu spät, um das zu ergründen. Hermann stirbt. Doch sein Rätsel begleitet uns seither alle: Worin gründet die eigene Liebe? Und die des geliebten Menschen?