Wilm Hüffer

Autor

Friedrich Merz und die Arbeitsmoral

„Jetzt arbeitet mal alle schön!“ Das scheint die Empfehlung der Regierung von Friedrich Merz zu sein. Habt doch einfach mal wieder „Lust auf Arbeit“! Eigentlich ist das beinahe komisch. Man fühlt sich gleich an die 1980er Jahre erinnert, an „Geier Sturzflug“ und die Steigerung des Bruttosozialprodukts. Jetzt also sollen wir alle wieder in die Hände spucken. Zu diesem ohnehin seltsam anachronistischen Kanzler passt das gut.

Doch wer sollte sich von solchen Appellen angesprochen fühlen? Was soll der brave Bürger jetzt tun? Sich klaglos ins Räderwerk der gemeinschaftlichen Interessen fügen? Wem soll das alles dienen? Wen sollen wir gemeinsam retten? Die Wirtschaft, die Dax-Konzerne und Großunternehmen? Sind sie es, deren Interessen jetzt alles andere untergeordnet werden soll?

Kanzleramtsminister Thorsten Frei orakelte bereits im Mai 2025, „wir alle“ müssten aufpassen, „vor lauter Work-Life-Balance“ nicht die Arbeit aus dem Blick zu verlieren. Pflichtschuldig schob er noch hinterher, anderen nicht erklären zu wollen, wie sie ihr Leben führen müssten. Und doch fragt man sich, welche Art der Mitwirkung hier von uns verlangt wird. Worum geht es, wenn „wir alle“ angeblich so dringend „aufpassen“ müssen?

Ich habe dazu ein bisschen in der Parteiengeschichte gestöbert. Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier auch um Folgsamkeit geht. Bitteschön zu schaffen, ohne groß aufzumucken. Im letzten CDU-Wahlprogramm tauchte auch der ärgerliche Evergreen von Friedrich Merz wieder auf, die „Leitkultur“. Eine kollektive Werteordnung als Ideal. Und auch die Forderungen nach Mehrarbeit klingen wie ein Appell zum gehorsamen Werkeln im Gesamtkollektiv.

Schon wird es noch anachronistischer. Man denkt an Helmut Kohls geistig-moralische Wende, sogar an deren Vorläufer, die „formierte Gesellschaft“ von Ludwig Erhard aus den 1960er Jahren. Erhard wollte damals die Pluralität der Einzelinteressen auflösen, sie dem „Gemeinwohl“ einer wachsenden Wirtschaft unterordnen. Der Appell ist klar: Ran an die Buletten. Nicht länger für Partikulares aufbegehren, sondern gemeinsam das Bruttoinlandsprodukt steigern.

Ausführlich habe ich dazu in den neuen Frankfurter Heften geschrieben:
Ausgabe 7/8/2025

Schon damals wirkte die Beschwörung einer „formierten Gesellschaft“ unangenehm autoritär. Umso mehr gilt das heute, in einer digitalisierten Wirtschaft mit hochgradig individualisierten Berufsbiografien und flexibilisierten Arbeitszeitmodellen. Daher bitte Schluss mit diesen Appellen! Wir leben in einer Gesellschaft, die für das Kommando zu kollektiver Kraftanstrengung nicht mehr eingerichtet ist.

Eine kluge Bundesregierung würde dafür sorgen, dass sich jede(r) einzelne besser beteiligen kann. Bessere Möglichkeiten zur Kinderbetreuung wären dafür ein Anfang. Nicht ermahnen und belehren, sondern Chancen ermöglichen. Vielleicht hätten viele dann wirklich wieder „mehr Lust auf Arbeit“.